Als Autor, der sich seit vielen Jahren mit der Architektur von Spannung, den Mechanismen der Furcht und der Dramaturgie des Unausweichlichen beschäftigt, ist ZeroDot1 oft skeptisch gegenüber neuen Horror-Produktionen. Doch was Benedict Matysik und sein KlausStudio mit dem Hörspiel 'Partus' geschaffen haben, ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Hörspiellandschaft. Eine Produktion, die mein Gastautor nicht nur als Kritiker, sondern als handwerklich staunender Kollege analysieren möchte.
Es gibt Geschichten, die man konsumiert wie eine leichte Mahlzeit – schnell verdaut und ebenso schnell vergessen. Zu oft verlässt man sich auf billige Schockeffekte, sogenannte Jumpscares, die physiologisch wirken, aber psychologisch verpuffen.Und dann gibt es eben jene seltenen Werke, die sich wie ein feiner, aber giftiger Nebel in die Windungen des Gehirns legen, dort verharren und noch lange nach dem letzten Akkord ein Gefühl der Beklemmung hinterlassen. Es ist eine Grenzerfahrung, die den Hörer dort abholt, wo er am verletzlichsten ist: am Ursprung des Lebens selbst.
Wenn man sich als Autor die Frage stellt, wo der Horror am effektivsten wirkt, landet man zwangsläufig bei der Zerstörung des Heiligen. Es gibt kaum einen Ort, der in unserer kulturellen Wahrnehmung so sehr mit Hoffnung, Zukunft und reinem Glück aufgeladen ist wie der Kreißsaal einer Entbindungsstation.
Genau hier setzt Matysik den Hebel an und bricht eines der letzten großen Tabus. Schon der Titel 'Partus', das lateinische Wort für Geburt oder Entbindung, zeugt von einer bewussten Entscheidung für Distanz und Kälte.
Wie der Macher in einem Interview verriet, standen zunächst profanere, direktere Titel wie "Das Horrorbaby" oder gar "Totgeburt" im Raum. Doch diese hätten dem Werk eine Banalität verliehen, die ihm nicht gerecht geworden wäre.
Erst ein intensives Brainstorming mit seiner Frau führte zu dem medizinisch-nüchternen Begriff "Partus". Diese Wahl ist brillant, denn sie suggeriert eine klinische Professionalität, die im Verlauf der knapp neunzig Minuten auf grausamste Weise dekonstruiert wird.
Von der Wiege ohne Umweg bis zur Bahre
Der Einstieg in das Werk ist eine meisterhafte Lektion in Sachen Fallhöhe. Wir hören ein junges Paar, stimmlich hervorragend verkörpert von Robin Kanning und Alina Krischke, in einem Moment purer Intimität und Freude.
Der Satz "Wir bekommen ein Baby!" ist der klassische Auslöser für das familiäre Glücksversprechen, das Fundament jeder bürgerlichen Idylle. Als Autor weiß man: Je heller das Licht zu Beginn strahlt, desto schwärzer wirken die Schatten, die folgen.
Matysik nutzt dieses Intro, um uns in Sicherheit zu wiegen, nur um uns dann neun Monate später ohne Vorwarnung in die Hölle zu stoßen. Wir befinden uns im St. Joseph Krankenhaus, und aus der freudigen Erwartung ist ein Albtraum aus Schmerz und Panik geworden.
Die Protagonistin Dorothea Sawatzki liegt in den Wehen, doch die akustische Kulisse hat nichts mit dem Wunder des Lebens zu tun, sondern erinnert eher an ein Schlachtfeld.
Hier zeigt sich die erste große Stärke des Skripts: Der "Inciting Incident", das auslösende Ereignis, wird nicht sanft eingeführt, sondern bricht mit brachialer Gewalt über den Hörer herein. Der zentrale Satz, der mir als Schriftsteller aufgrund seiner fast schon physischen Bildgewalt im Gedächtnis blieb, wird von der leidenden Mutter herausgeschrien: „Der Junge kratzt sich durch meine Gebärmutter!“
In diesem Moment wechselt das Genre abrupt. Wir verlassen das medizinische Drama und betreten das Territorium des "Body Horror". Die Vorstellung, dass das eigene Kind, das Fleisch vom eigenen Fleisch, nicht hinausgeboren wird, sondern sich den Weg wie ein Parasit freikratzt, spielt mit Urängsten, die tief in unserer biologischen Programmierung verankert sind. Es ist eine Perversion der Natur, die jeden Zuhörer instinktiv zusammenzucken lässt.
Was darauf folgt, ist ein Kammerspiel, das in seiner Intensität kaum Pausen zulässt. Eine Notoperation wird eingeleitet, das medizinische Personal, angeführt von Dr. Sanastoli, versucht verzweifelt, die Kontrolle zu behalten.
Simone Silberzahn leiht der Ärztin ihre Stimme und meistert dabei den schwierigen Spagat, professionelle Autorität und aufkeimende Panik gleichzeitig zu transportieren. Wenn die Götter in Weiß machtlos sind, wenn das Skalpell nicht mehr heilt, sondern nur noch das Unfassbare freilegt, dann bröckelt die Zivilisation.
Das Krankenhaus verwandelt sich von einem Ort der Heilung in ein Labyrinth des Todes. Die Flure, die wir vor unserem geistigen Auge sehen, werden eng und dunkel. Diese "Bottle Episode"-Struktur, also die Begrenzung auf einen einzigen Handlungsort, ist ein klassisches, aber hier extrem effektiv genutztes Werkzeug der Spannungsliteratur. Niemand kann entkommen, das Böse ist eingeschlossen mit seinen Opfern.
In Klang gegossener Horror
Doch ein Hörspiel ist mehr als nur Dialog und Plot. Es ist vor allem Klang. Und gerade hier hebt sich 'Partus' von der Masse der Produktionen ab. In einer Zeit, in der digitale Sound-Bibliotheken es einfach machen, Standardgeräusche per Mausklick einzufügen, geht das KlausStudio einen Weg, den man fast als nostalgische Handwerkskunst bezeichnen muss.
Benedict Matysik hat sich dem "Foley Recording" verschrieben, der Kunst der manuellen Geräuscherzeugung. Wenn im Hörspiel Knochen brechen, Fleisch reißt oder organische Masse zerquetscht wird, hören wir keine Konservenklänge. Stattdessen mussten im Studio Lauchstangen und Ananas ihr Leben lassen, um diese auditiven Texturen zu erzeugen.
Diese Information mag auf den ersten Blick amüsant klingen, doch als Hörer spürt man den Unterschied. Diese sogenannten "Wet Sounds" besitzen eine schmatzende, widerwärtige Authentizität, die das Unterbewusstsein sofort alarmiert.
Es klingt organisch, weil es organisch ist. Zusammen mit dem ebenfalls von Matysik komponierten Soundtrack, der die Szenen punktgenau untermalt, entsteht ein Klangteppich, der keine Distanz zulässt. Man "hört" nicht nur das Geschehen, man befindet sich mittendrin in diesem blutigen Kreißsaal.
Ein weiterer Aspekt, der für die Qualität des Skripts spricht, ist die Charakterzeichnung und die Besetzung. Ein Horror-Szenario funktioniert nur, wenn wir um die Figuren bangen.
Neben der bereits erwähnten Simone Silberzahn und der physisch extrem geforderten Yessica Matysik, die als Mutter Dorothea eine Tour de Force aus Schmerzschreien und Verzweiflung abliefert, ist das Ensemble bis in die Nebenrollen hinein stimmig besetzt.
Achim Rundholz fungiert als Erzähler mit dem nötigen Gravitas eines Chronisten, der das Unaussprechliche in Worte fasst. Interessant ist auch der kleine "Cameo"-Auftritt des Regisseurs selbst. Benedict Matysik spricht die Rolle des Paul.
Wie er selbst humorvoll anmerkte, übernimmt er gerne die fiesen oder sterbenden Charaktere, ähnlich wie Alfred Hitchcock oder Stan Lee in ihren visuellen Werken kurz durch das Bild huschten.
Auch familiäre Bande spielen eine Rolle: Seine Schwiegermutter Heike Matysik spricht Schwester Maria, eine Figur, die, wie bereits angedeutet wurde, in zukünftigen Fortsetzungen noch eine tragende Rolle spielen könnte.
Auch Ann-Christin Blum als weitere Schwester, Marc Erkens als Herr Henkels, Jan Winnenberg als Witwer sowie Sascha Tschorn als Dr. Lotuskarnie, Carsten Stopka als Dr. Weller und Leonie Matysik sowie Katrin Erkes als weitere Schwestern runden das Ensemble ab.
Die Geschichte um das Grauen im St. Joseph Krankenhaus ist nämlich noch lange nicht auserzählt; Matysik plant, das Universum in den nächsten Jahren weiter auszubauen und die Hintergründe des Bösen zu beleuchten.
Keine Atempause
Aus der Perspektive eines Autors muss ich auch die Konsequenz der Erzählung loben. 'Partus' macht keine Gefangenen. Es gibt keinen "Comic Relief", keine unnötigen Pausen zum Durchatmen. Das Pacing, also das Tempo der Geschichte, gleicht einer Spirale, die sich immer schneller nach unten dreht.
Manche Kritiker mögen einwenden, dass das Hörspiel "zu" blutig sei, "zu" explizit. Und ja, die Warnhinweise auf dem Cover – "Parental advisory – explicit content" – sind absolut ernst zu nehmen. Wie auch mein geschätzter Kollege "Der Hörold" in seiner Rezension warnte, ist dieses Werk Gift für die Nerven werdender Eltern.
Es ist ein Horrorhörspiel für Hartgesottene. Doch genau diese Härte ist notwendig. Ein abgeschwächter Horror, der Rücksicht auf Befindlichkeiten nimmt, verfehlt seinen Zweck. Horror muss wehtun, er muss verstören, er muss an die Grenzen gehen. 'Partus' tut genau das. Es konfrontiert uns mit der Angst, dass wir das Böse nicht bekämpfen können, weil wir es selbst geboren haben.
Wie das Hörspiel die Community bewegt(e)
Die Resonanz in der Hörspiel-Community bestätigt diesen Eindruck. Ob bei "Traumwelt Hörspiel", "Heimathafen-Hörspiel" oder "NebelEcho" – überall wird die dichte Atmosphäre und die technische Brillanz gelobt, auch wenn (oder gerade weil) der Inhalt schwer verdaulich ist. Es ist kein Werk für den entspannten Abend auf der Couch, sondern eine Herausforderung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das KlausStudio mit 'Partus' einen Meilenstein im deutschen Indie-Horror gesetzt hat. Es beweist, dass man kein riesiges Budget eines Major-Labels benötigt, um Kino für den Kopf zu erzeugen.
Es benötigt Leidenschaft, handwerkliches Können und vor allem den Mut, eine Geschichte dorthin zu führen, wo es wehtut. Für mich als Autor ist 'Partus' inspirierend, weil es zeigt, wie mächtig das Medium Hörspiel sein kann.
Es nutzt die Fantasie des Hörers als Leinwand und malt darauf mit Blut, Schmerz und Dunkelheit ein Bild, das man so schnell nicht mehr vergisst. Wer den Mut hat, sollte sich auf Dorothea Sawatzkis Albtraum einlassen.
Aber sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Wenn das nächste Mal ein Neugeborenes schreit, werden Sie vielleicht kurz innehalten und lauschen, ob es wirklich nur Hunger ist – oder ob sich etwas anderes Bahn bricht.
Offizielle Webseite: https://www.klausstudio.de/partus

Kommentare
Kommentar veröffentlichen